Philemon 1
Philemon 1 Kingcomments Bibelstudien

Einleitung

Ebenso wie die beiden Briefe an Timotheus und der Brief an Titus ist auch dieser Brief an eine einzelne Person geschrieben, nämlich an Philemon. Dennoch nimmt er unter den Briefen, die an einzelne Personen geschriebenen wurden, eine einzigartige Stellung ein.

Timotheus und Titus erhielten Anweisungen für ihr persönliches Verhalten in der Gemeinde. Paulus hatte sie darüber belehrt, wie sie sich in vielen Situationen zu verhalten hätten und was sie den Gläubigen vorstellen sollten. Diese Briefe sind auch für dich von großer Bedeutung. Du lernst darin, wie du dich als Christ in einer Christenheit verhalten sollst, in der ein großes Durcheinander herrscht. Du erhältst dort Hinweise, wie du darin zur Ehre Gottes und zum Segen für die dich umgebenden Menschen leben kannst. Der Brief an Philemon hat einen ganz anderen Inhalt. Darin findest du keine lehrmäßigen Unterweisungen. In diesem Brief geht es ausschließlich um eine praktische Angelegenheit.

Paulus redet in diesem Brief zu einem gläubigen Herrn über einen Sklaven, der ihm, Philemon, entlaufen war und den Paulus nun wieder zu ihm zurückschickte. Es ist ein Brief über einen Sklaven, der seinem Herrn gegenüber schuldig geworden ist. Paulus will diesem Herrn helfen, seinen Sklaven, der ihm solch einen Schaden zugefügt hatte, in Liebe aufzunehmen. In diesem Brief siehst du, dass es beim christlichen Glauben nicht nur um das geht, was man glaubt, sondern auch darum, wie man diesen Glauben auslebt.

Es geht nicht nur darum, Gott und den Herrn Jesus zu kennen, sondern auch darum, die Eigenschaften Gottes und des Herrn Jesus darzustellen. Als Apostel hätte Paulus von Philemon fordern können, Onesimus wieder aufzunehmen oder ihn sogar freizulassen. Doch Paulus tritt hier nicht als Apostel auf. Er will, dass sich die Lehre in der Praxis zeigt. So zeigt er, dass es nicht nur wichtig ist, dass du über die Wahrheit sprichst, sondern auch, wie du die Wahrheit in die Praxis umsetzt. Es geht nicht nur darum, etwas Richtiges zu sagen, sondern es auch richtig zu sagen. Der Ton macht die Musik.

Vielleicht denkst du: „Was kann ich schon aus einer Begebenheit lernen, die so weit von meiner Lebenswirklichkeit entfernt ist? Ich habe mehr davon, wenn ich meine Stellung in Christus kennenlerne und lerne, dementsprechend zu leben, als zu erfahren, wie Philemon seinen Sklaven aufnehmen sollte.“ Das wäre jedoch ein Denkfehler. Gerade der Brief an Philemon zeigt beispielhaft wie kein anderer Brief, wie du deine Stellung in Christus in deinem Leben ausleben solltest. Obwohl dieser Brief also keine lehrmäßigen Belehrungen enthält, wirst du merken, dass er nur von jemandem geschrieben werden konnte, der die ganze Wahrheit über Christus innerlich aufgenommen hatte. Wenn du diesen Brief liest, wirst du sehen, wie das ganze Leben des Verfassers und sein ganzes Denken durchdrungen waren von dem, was er in Christus war. In dem, was er schreibt, setzt er die Wahrheit in die Praxis um – die Wahrheit über den einen Leib (der Brief an die Epheser), die Wahrheit über die Gesinnung Christi (der Brief an die Philipper) und die Wahrheit über den neuen Menschen (die Briefe an die Epheser und Kolosser).

Was hier beschrieben wird, sollte tägliche Praxis der Gläubigen in vergleichbaren Situationen sein. Wenn wir auch nichts mehr mit Sklaverei zu tun haben, so kannst du doch in Situationen kommen, wo jemand dir gegenüber schuldig wird, wie Onesimus gegenüber Philemon. Es kann auch sein, dass du von derartigen Situationen bei anderen weißt. Du könntest dann eine vermittelnde Rolle übernehmen, so wie Paulus hier zwischen Onesimus und Philemon vermittelt. Wie wir mit solchen Situationen umgehen sollten, lernen wir in diesem Brief. Dazu ist er geschrieben worden, und so müssen wir ihn lesen.

Du wirst in diesem Brief vergeblich nach Hinweisen suchen, wie man mit Sklaverei umgehen muss oder wie man sie zu sehen hat. Darum geht es überhaupt nicht. Beim Christentum geht es nicht um die Veränderung der Verhältnisse, sondern um die Veränderung der Herzen der Menschen. Und selbst wenn das Herz verändert ist, heißt das noch nicht, dass der Gläubige sich auch willig in die Verhältnisse schickt. Ich finde es jedenfalls oft noch schwierig, mit Unrecht, das mir angetan wurde, richtig umzugehen. Das hängt sicher auch von der Art des Unrechts ab. In diesem Brief geht es um Diebstahl und um die Weigerung, seiner Verantwortung nachzukommen.

Es gibt auch noch anderes Unrecht, bei dem jemandem etwas weggenommen wird und das noch viel einschneidender ist. Ich denke dabei an körperlichen Missbrauch oder an eine Manipulation des Willens. Dabei ist natürlich klar, dass dieses Unrecht von anderer Art ist als das Unrecht, das Anlass zu diesem Brief war. Solltest du mit einem derart abscheulichen Unrecht zu tun haben, musst du lernen, auch damit umzugehen. Das wird sicher ein Prozess sein, der seine Zeit braucht, doch mit der Hilfe des Herrn und solcher, denen du vertrauen kannst, kannst du da ein gutes Stück vorankommen. Wenn du denkst, ich könnte dir dabei behilflich sein, dann scheu dich nicht, Kontakt mit mir aufzunehmen.

Philemon wohnte aller Wahrscheinlichkeit nach in Kolossä, wie sich aus dem Brief an die dortige Gemeinde ableiten lässt (Kol 4,9). Der Brief an Philemon und der Brief an die Kolosser hängen somit eng zusammen. Noch etwas lässt den starken Zusammenhang zwischen dem Brief an Philemon und den Briefen an die Kolosser und die Epheser erkennen. In den Briefen an die Epheser und die Kolosser werden nämlich die Herren von Sklaven ausdrücklich als solche angesprochen (Eph 6,9; Kol 4,1). Auch Philemon gehörte zu ihnen und wurde ebenfalls direkt angesprochen.

Es scheint so, dass er durch den Dienst des Paulus zum Glauben gekommen ist. Jedenfalls kann man das in Phlm 1,19 zwischen den Zeilen lesen. Paulus war nie in Kolossä (Kol 2,1) und muss Philemon anderswo begegnet sein. Diese Begegnung oder Begegnungen haben schließlich zu seiner Bekehrung geführt. Danach hat er mit Paulus und auch mit Timotheus zusammengearbeitet (Phlm 1,1). Hier ist Philemon wieder zurück in Kolossä. Es ist wohl anzunehmen, dass die erwähnte Frau, Apphia (Phlm 1,2), seine Ehefrau ist. Von Archippus vermutet man, dass er sein Sohn ist, aber das ist nicht mehr als eine Vermutung. Philemon muss ein ziemlich großes Haus gehabt haben, denn in seinem Haus versammelte sich die Gemeinde. Dass er zumindest einen Sklaven hatte, Onesimus, kann bedeuten, dass er nicht unbemittelt war.

Es geht um Onesimus in diesem Brief. Onesimus war ein unbekehrter Sklave, der geflohen war. Er wird nicht deshalb geflohen sein, weil Philemon ihn hartherzig behandelt hätte. Mir scheint, dass das Problem mehr bei ihm selbst lag. Allem Anschein nach war er ein nutzloser Bursche (Phlm 1,11). Vor seiner Bekehrung hat er seinem Namen keine Ehre gemacht. Onesimus bedeutet nämlich „nützlich“. Es scheint sogar so, dass er ein Dieb geworden war.

Philemon wird ihn nicht an die Kette gelegt haben, sondern ihm ein großes Maß an Freiheit gegeben haben. Philemon hatte ihm vertraut. Onesimus hat dieses Vertrauen schwer missbraucht. Er hat sich nicht nur in einem günstigen Augenblick auf die Socken gemacht, sondern sich dabei auch mit dem Notwendigen versorgt. Schließlich musste er ja leben. Vielleicht glaubte er, dass er nicht mehr als den noch ausstehenden Lohn mitnahm. Wer sich nicht vom Herrn leiten lässt, kann zu den merkwürdigsten Auffassungen in Bezug auf „Mein und Dein“ kommen und handelt dann auch danach.

Ob Rom sein Ziel war oder ob er dort schließlich nach manchem Umherirren gelandet ist, ist nicht bekannt. Jedenfalls führte der Herr es so, dass er dort dem Apostel Paulus begegnete. Möglicherweise stieß er in Rom „zufällig“ auf Paulus. Er kam mit ihm ins Gespräch, und der Herr öffnete sein Herz, so dass er sich bekehrte. Es ist auch nicht undenkbar, dass er Paulus, über den er im Haus des Philemon viel gehört haben wird, aus eigenem Antrieb aufgesucht hat. Der Herr kann sein Gewissen unruhig gemacht und ihm in Erinnerung gerufen haben, dass Paulus irgendwo in Rom gefangen saß.

Sicher ist, dass er bei Paulus im Gefängnis und durch seinen Dienst Paulus zur Bekehrung kam (Phlm 1,10). Dadurch kam seine Beziehung zu Gott in Ordnung. Nun musste auch noch seine Beziehung zu Philemon in Ordnung gebracht werden. Das war noch ein weiter Weg.

Du siehst also, dass mit der Bekehrung noch nicht alle Probleme schlagartig verschwunden sind. Die Bekehrung ist der Anfang eines neuen Lebens. Von diesem Augenblick an gehen Wachstum im Glauben und das Ordnen der Vergangenheit Hand in Hand. Alles, wovon du weißt oder später erkennst, dass du da an jemandem schuldig geworden bist, musst du in Ordnung bringen. So habe ich einige Zeit nach meiner Bekehrung den Besitzer eines Ladens aufgesucht, wo ich als Junge regelmäßig Süßigkeiten geklaut hatte. Ich hatte einen Betrag als Entschädigung bei mir. Soweit ich mich erinnere, entsprach dieser bei weitem nicht dem Wert dessen, was ich gestohlen hatte. Doch er hat meine Entschädigung, die ich bei mir hatte, angenommen und mir vergeben.

Der Gedanke an eine Rückkehr zu seinem Herrn wird bei Onesimus keine große Freude ausgelöst haben. Trotzdem sah er ein, dass das notwendig war, vielleicht, weil Paulus ihn davon überzeugt hatte. Paulus sagte ihm auch seine bedingungslose Unterstützung zu. Er nahm es auf sich, Onesimus im Blick auf Philemon zu helfen. Wie er das tat, ist mehr als das, was wir meinen, wenn wir davon sprechen, dass wir „für jemanden ein gutes Wort einlegen“. Er schickte Onesimus nicht einfach zurück, sondern gab ihm einen Empfehlungsbrief mit. Darin bezeugte Paulus die Echtheit seiner Bekehrung und wie er ihm danach von großem Nutzen war. Hier kannst du etwas von Paulus lernen. Du kannst dir einmal überlegen, wie du jemandem weiterhelfen und ihn unterstützen kannst, der vor einer ähnlichen Aufgabe wie Onesimus steht.

Auch von Onesimus kannst du etwas lernen. Von Natur aus bist du auch ein weggelaufener Onesimus, ein nutzloser Nichtsnutz (Röm 3,12). Durch deine Bekehrung hat sich das geändert. Durch die Kraft des Heiligen Geistes kannst du nun für deine Umgebung nützlich sein. Dass du anders geworden bist, fällt zuerst und am deutlichsten in deinem täglichen Wirkungsbereich auf, sei es zu Hause, in der Schule oder bei der Arbeit. Gerade da, wo Onesimus als Sklave hingestellt war, konnte er nun zeigen, dass er nützlich war. So sendet der Herr jeden von uns in seine eigene Umgebung, in die Familie oder den Arbeitsbereich zurück, damit wir dort Zeuge sind und nützlich für den Herrn (Mk 5,19). Du und ich, wir sind Gottes Onesimus.

Absender, Empfänger und Segenswunsch

Phlm 1,1. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, tritt Paulus hier nicht als Apostel auf. Wenn er das gewollt hätte, hätte er seine Autorität gleich zu Anfang seines Schreibens herausgestellt. Er hätte das tun können, wie er später in Phlm 1,8 sagt. Doch in diesem Fall sieht er davon ab. Es geht ihm nämlich nicht darum, eine Wahrheit zu entfalten oder zu verteidigen, sondern um etwas anderes. Er möchte Philemons Herz erreichen und von Herz zu Herz mit ihm reden. Deshalb betont er nicht die unterschiedlichen Positionen, die sie in der Gemeinde einnahmen, sondern das, was sie gemeinsam besaßen. Ausgangspunkt für das, was er Philemon sagen möchte, ist die Gnade, die sie beide von Gott empfangen hatten. Paulus geht eigentlich noch einen Schritt weiter, indem er als jemand auftritt, der Philemon um einen Gefallen bittet.

Aus dieser Haltung heraus will er seine eigenen Gefühle äußern und die von Philemon ansprechen, und zwar hinsichtlich einer Person, die sie beide kennen: Onesimus. Doch jeder von beiden kennt ihn auf eine andere Weise. Philemon kennt Onesimus von früher, Paulus kennt ihn, wie er jetzt ist. Zwischen damals und jetzt liegt die Bekehrung des Onesimus. Paulus kennt die schönen Folgen dieser Bekehrung. Philemon kennt nur das frühere Leben des Onesimus mit seinen traurigen Folgen. Paulus weiß das. Er versucht auch nicht, die Vergangenheit von Onesimus schönzureden oder als weniger schlimm hinzustellen. Seine einzige Absicht ist es, Philemon dazu zu bewegen, Onesimus zu vergeben und wieder aufzunehmen. Deshalb tritt er so bescheiden auf.

Durch ein solches Auftreten zeigt er Philemon, wie er wünscht, dass Philemon als Herr des Onesimus den entlaufenen Sklaven behandeln sollte. Auf diese Weise würde Philemon die Gnade des Apostels zeigen können oder besser noch: die Gnade des Herrn. Der Herr hat sich tiefer erniedrigt als jeder andere es jemals getan hat. Nicht dass Er dadurch etwas aufgegeben hätte, das Er in sich selbst war. Doch Er konnte damit etwas tun, was Er auf keine andere Weise hätte tun können. Nur so konnte Er nämlich bei den Seinen ein inneres Empfinden seines gnädigen Handelns bewirken (Joh 13,13-15). So konnte auch Paulus sein Apostelamt nicht verleugnen, er konnte es im Augenblick aber einmal hintanstellen und ein Beispiel für ein liebevolles Vorgehen geben. In dieser demütigen Haltung konnte er bitten, statt zu befehlen.

Paulus tritt hier also nicht als Apostel auf, sondern als „Gefangener Christi Jesu“. Schon das muss das Herz Philemons unmittelbar berührt haben. Der Absender des Briefes ist jemand, der um Christi willen leidet. Auch du wirst schnell einen Unterschied feststellen können zwischen jemandes Brief, dem es gut geht, und jemandes Brief, der in seinem Leben manche Rückschläge zu verarbeiten hat. Wenn Letzterer einen Brief schreibt, dann wird das, denke ich, einen stärkeren Eindruck machen. Paulus sagt damit gleichzeitig, dass er nicht ein Gefangener der Menschen war. Menschen waren für ihn nur Werkzeuge in der Hand des Herrn. Paulus wusste sich in der Hand des Herrn. Dass er jetzt im Gefängnis saß, war für ihn kein Schicksalsschlag. Nein, der Herr hatte ihn dorthin gebracht, um dort mit ihm, diesem „auserwählten Gefäß“, Gemeinschaft zu haben und dem Apostel die tiefsten Gedanken seines Herzens mitzuteilen. Dadurch haben wir nun drei Briefe, die uns die reichsten Segnungen der Christen mitteilen: die Briefe an die Epheser, die Philipper und die Kolosser.

In seiner Gefangenschaft hatte Paulus auch auf besondere Weise Gemeinschaft mit einem Bruder wie Epaphras, den das gleiche Los getroffen hatte (Phlm 1,23; siehe auch Kol 4,12). Und wir sehen in diesem Brief auch, wie sein Herz an Onesimus hing, der ihm in seiner Gefangenschaft diente.

Es gibt noch einen zweiten Absender, Timotheus. Timotheus war zwar kein Apostel, hatte aber doch einen besonderen Platz in der Gemeinde. Doch auch davon ist hier keine Rede. Timotheus wird hier als „der Bruder“ vorgestellt, eine Bezeichnung, die man geradezu als einen Titel betrachten kann und die auch für Philemon galt. Es ist ein Titel von gewaltiger Bedeutung. Im allgemeinen Sinn umfasst der Ausdruck „Brüder“ auch Schwestern. Das versteht jeder, der weiß, dass der Herr Jesus sich nicht schämt, uns seine Brüder zu nennen (Heb 2,11; 12). Dadurch verbindet Er sich mit allen Gläubigen. Paulus gebraucht diesen Titel mehrmals als einen Appell an Philemon (Phlm 1,7; 20). So wurde auch Paulus von Ananias direkt nach seiner Bekehrung angesprochen (Apg 9,17). Und während seines Dienstes suchte das Herz des Apostels immer wieder Ruhe in der Gemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern.

Brüder voneinander sind wir bis in alle Ewigkeit. Es ist eine ewige familiäre Beziehung, die durch das Werk des Herrn Jesus entstanden ist. Seine erste Äußerung der Freude nach seiner Auferstehung kommt in den Worten zum Ausdruck: „Geh aber hin zu meinen Brüdern.“ Die Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem Gott und Vater ist dieselbe, die der Herr Jesus mit seinem Gott und Vater hat (Joh 20,17).

Paulus wandte sich an Philemon. Der Name bedeutet „Liebender“ oder „liebreich“. Er hatte seinem Namen Ehre gemacht, wie man Phlm 1,5 entnehmen kann. Er war reich an Liebe und hatte sie anderen erwiesen. Da blieb es nicht aus, dass er auch von anderen geliebt wurde. Wer liebt, wird selbst auch geliebt. Paulus hatte seine Liebe erfahren (Phlm 1,7) und spricht deshalb von „dem Geliebten“. Philemon wurde von Gott geliebt, von Paulus und Timotheus und von allen, die Philemons Liebe beobachteten. Philemon zeigte auch Liebe für das Werk des Herrn. Er war ein „Mitarbeiter“ des Paulus und des Timotheus im Dienst für den Herrn. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass Paulus alles erwähnt, was ihn mit Philemon verbindet.

Phlm 1,2. Die Annahme, dass Apphia die Frau von Philemon war, scheint mir nicht zu weit hergeholt zu sein. Es ist das einzige Mal, dass der Apostel in der Anrede seiner Briefe eine Frau erwähnt. In anderen Fällen passte das nicht, hier aber wohl. Apphia war selbst ja auch Leidtragende, vielleicht sogar die am meisten Geschädigte. Sie hatte einen Bediensteten verloren. Auch ihrem Namen fügt Paulus etwas hinzu. Er nennt sie „Schwester“ und bringt damit zum Ausdruck, dass sie durch das wunderbare Band des Glaubens an den Herrn Jesus miteinander verbunden waren. Auch hier deutet nichts darauf hin, dass Paulus in der Gemeinde einen höheren Platz hatte.

Archippus wird ein Mitbewohner gewesen sein, sonst wäre er in der Anrede nicht zusammen mit dem Familienoberhaupt und dessen Frau genannt worden. Man hat vermutet, dass er ihr Sohn war. Beweise dafür gibt es jedoch nicht. Es kann auch sein, dass er einfach nur für eine bestimmte Zeit bei ihnen im Haus war, vielleicht weil er Ruhe brauchte oder wieder zu Kräften kommen musste. Jedenfalls war er ein „Mitkämpfer“ im Evangelium. Es kann sogar sein, dass es ihm schwerfiel, sich wieder am Kampf zu beteiligen. Er musste nämlich angespornt werden, seinen Dienst zu erfüllen (Kol 4,17).

Die Tatsache, dass Paulus diese Namen erwähnt, drückt aus, dass sie Gemeinschaft miteinander hatten, dass sie also etwas Gemeinsames besaßen. Durch Christus sind sie miteinander verbunden und haben so Interesse füreinander. Alle Unterschiede hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung, des Geschlechts oder der Sprache sind für diese Gemeinschaft kein Hindernis. Im Licht des Kreuzes verschwinden alle Unterschiede. In der neuen Schöpfung ist Gott alles und in allen, und in Christus gibt es weder Juden (Paulus) noch Griechen (Philemon) noch Sklaven (Onesimus) noch Freie (Philemon), weder Mann (Philemon) noch Frau (Apphia) (Gal 3,28).

Die Sache ging auch die Gemeinde im Haus von Philemon etwas an. Zweifellos werden sie gewusst haben, was geschehen war. Wenn Onesimus zurückkehren würde, mussten sie auch wissen, wie das mit seiner Arbeit war. Sie mussten dann auch wissen, dass sie einen neuen Bruder hinzubekommen hatten. Die ganze Gemeinde sollte diesen entlaufenen Sklaven in der Gesinnung des Herrn Jesus aufnehmen.

Im Brief an die Kolosser schreibt Paulus nichts davon, dass Onesimus ein entlaufener Sklave war. Dort stellt er ihn nur als einen treuen und geliebten Bruder vor (Kol 4,9). Von dem Problem zwischen Onesimus und Philemon brauchten nur die direkt Betroffenen etwas zu wissen. Darin liegt ein wichtiger Hinweis: Familienprobleme, die in einer Gemeinde auftreten, müssen nicht überall breitgetreten werden. Deshalb erwähnt Paulus im Brief an die Kolosser, der für alle Gläubigen in Kolossä bestimmt war, nichts davon.

Die Gemeinde in Philemons’ Haus war nicht das, was wir heute als „Hausgemeinde“ bezeichnen. Eine Hausgemeinde kann aus ganz verschiedenen Gründen entstehen. Sie besteht aus einer Anzahl von Gläubigen, die sich regelmäßig in einem Haus treffen, um sich über den Glauben an Christus auszutauschen. Jede Hausgemeinde besteht für sich. Man schätzt vor allem den kleinen Rahmen und erfährt dadurch einen stärkeren persönlichen Kontakt.

Es ist sicher nicht unbiblisch, eine Hausgemeinde zu bilden, aber das ist keine Gemeinde, wie sie dir in der Bibel begegnet. Eine Gemeinde im biblischen Sinn beachtet die Anordnungen, die besonders im Brief an die Korinther in Bezug auf das Zusammenkommen der Gemeinde gegeben werden. Das geschah auch im Haus von Philemon oder wo sonst noch von einer „Gemeinde im Haus“ die Rede ist (vgl. Röm 16,5; 1Kor 16,19; Kol 4,15).

In der Bibel ist von der Gemeinde an einem bestimmten Ort die Rede. Dort mögen Gläubige an verschiedenen Stellen zusammenkommen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es an diesem Ort mehrere Gemeinden gibt. So kamen die ersten Christen an vielen Stellen in Jerusalem zusammen, um das Brot zu brechen (Apg 2,46). Praktisch gesehen war es auch gar nicht möglich, mit mehreren Tausend Gläubigen an einer Stelle in Jerusalem zusammenzukommen.

Phlm 1,3. Paulus beschließt seine Anrede mit dem bekannten Gruß. Gnade ist die unverdiente Gunst, durch die Gott, der Vater, und der Herr Jesus uns errettet haben und in der sie uns jetzt beistehen. Friede ist die entsprechende Folge. Es ist die Ruhe im Blick auf alle Umstände, und zwar durch das Bewusstsein, dass alles, was Er in seiner Liebe für seine Kinder bestimmt hat, in der Hand unseres Gottes und Vaters ist. Dasselbe gilt für den Herrn Jesus Christus, der der Herr seiner Diener ist.

Lies noch einmal Philemon 1,1–3.

Frage oder Aufgabe: Welcher Unterschied besteht zwischen der Anrede in diesem Brief und der in anderen Briefen, und warum ist das so?

Liebe und Glaube und ein Appell

Phlm 1,4. Paulus beginnt den Brief an Philemon, wie er viele seiner Briefe beginnt: Er dankt Gott für das, was er über Philemon gehört hatte. „Ich danke meinem Gott“, sagt er zu Philemon. Das weist auf das persönliche und vertraute Verhältnis hin, das Paulus zu Gott hatte. Ein solches Verhältnis ist von großer Bedeutung. Ich hoffe, dass auch du von Gott „mein Gott“ sagen kannst und dass du in der Fürbitte für andere vertrauten Umgang mit Ihm pflegst. Paulus dachte stets in seinen Gebeten an Philemon. Wenn er in seinen Gebeten Philemons Namen erwähnte, dann geschah das nicht, um Gott etwas zu sagen, was ihm Sorge bereitete. Natürlich darfst du auch die Sorgen vor Gott ausbreiten, die du um andere hast.

Doch gibt es auch Gläubige, bei denen du sofort Dankbarkeit empfindest, wenn du an sie denkst, weil sie so viel Liebe und Glauben haben? Lässt du sie das auch einmal spüren? Es wird Philemon zweifellos gutgetan haben, dass Paulus in seinen Gebeten immer an ihn dachte. Trotz der Tatsache, dass sie einander wahrscheinlich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten, hatte Paulus ihn nicht vergessen. Ich hoffe, dass auch du nicht aufhörst, für Gläubige zu beten, denen du einmal begegnet bist und die dich beeindruckt haben, und dass dein Gebet für sie nicht mit der Zeit nachlässt.

Phlm 1,5. Grund für die Dankbarkeit, die Paulus empfand, waren die Berichte, die er über Philemon empfangen hatte. Diese Berichte gaben Zeugnis von seiner Liebe und seinem Glauben. Liebe und Glaube gehören zusammen. Die Liebe, Hauptthema dieses Briefes, wird hier zuerst genannt. Philemon hatte Liebe zum „Herrn Jesus und … zu allen Heiligen“. Das gehört zusammen. Du kannst nicht von Liebe zum Herrn Jesus reden und gleichzeitig eine Abneigung gegen deine Brüder und Schwestern haben (1Joh 4,20). Mit Glauben ist Glaubensvertrauen gemeint, es kann aber auch mit Treue übersetzt werden. Philemon vertraute dem Herrn Jesus und den Heiligen.

Dem Herrn Jesus zu vertrauen, das mag ja gehen. Aber vertraust du auch deinen Geschwistern? Es ist schon so, dass es für eine gesunde Gemeinschaft wirklich unerlässlich ist, dass man von Vertrauen zueinander ausgeht. Das hat nichts mit Naivität zu tun. Du bist nüchtern genug, um zu wissen, dass dich auch einmal jemand betrügen kann. Trotzdem ist es nicht leichtfertig, wenn du den Heiligen vertraust. Wenn du anfängst, ihnen zu misstrauen und ihnen zu unterstellen, dass sie nicht ehrlich sind, ohne dafür deutliche Hinweise zu haben, richtet das die Gemeinschaft zugrunde. Misstrauen ist ein großes Übel. Bei Philemon war das Gegenteil der Fall.

Paulus sagt diese Dinge nicht, um Philemon zu schmeicheln. Es stimmte wirklich, dass Philemon Liebe und Vertrauen zu allen Heiligen hatte. Gleichzeitig sagt Paulus das sicher auch, um Philemon auf das vorzubereiten, was er kurz darauf für Onesimus von ihm erbitten wird. Dieser entlaufene Sklave gehörte nun ebenfalls zu „allen Heiligen“. Es ist so, als müsste Philemon seine Liebe zu „allen Heiligen“ nun dadurch unter Beweis stellen, dass er Onesimus Liebe erweist. Vielleicht hast du auch schon einmal empfunden, dass es manchmal einfacher ist, Geschwister zu lieben, die weit weg von dir wohnen, als die, die du jeden Tag siehst und mit denen du jeden Tag zu tun hast.

Wenn man einander besser kennenlernt, hat das manchmal zur Folge, dass die Liebe abnimmt oder sogar aufhört; es kann aber auch sein, dass sie zunimmt. Letzteres ist natürlich das Ziel. In einer Ehe ist das auch so. Am Anfang sieht jeder bei dem anderen nichts Negatives. Wenn man einander besser kennenlernt, lernt man auch die weniger schönen Seiten des anderen kennen. Wenn man dann anfängt, einander Vorwürfe zu machen, läuft die Sache schief. Nimmt man sich darin jedoch gegenseitig an, wird das Band nur noch fester.

Phlm 1,6. Nachdem Paulus von seinem Dank gesprochen hat für das, was er über Philemon gehört hatte, schreibt er ihm, warum er für ihn betet, und leitet das mit dem Wörtchen „dass“ oder „damit“ ein. Er wünscht, dass die Gemeinschaft von Philemons Glauben stark sei, damit er all das Gute anerkennt, das in ihnen Christus gegenüber ist. Auch das dient zur Vorbereitung, um das Herz des Philemon mit den Gefühlen des Paulus auf eine Linie zu bringen. Philemon wird in der Gemeinschaft des Glaubens stark sein müssen, um Onesimus, der ihm geschadet hatte, vergeben und als einen Bruder aufnehmen zu können. Auch Onesimus hat nun in dieser Gemeinschaft des Glaubens seinen Platz, und um Onesimus so sehen zu können, benötigt Philemon die Kraft des Herrn. Der Herr will sie ihm geben.

Um Philemon das deutlich zu machen, möchte Paulus, dass Philemon weiß, was sein Herz in Bezug auf den Herrn bewegt. Sein Herz ist voll davon, Gutes für Christus zu tun. Wenn das auch bei Philemon so wäre, dann würde es diesem umso leichter fallen, Onesimus zu vergeben und ihn aufzunehmen. Paulus beginnt hier nicht im Einzelnen darzulegen, worin all das Gute in seinem Herzen bestand, das er für Christus tun wollte. Er betet nur dafür, dass der Herr dies Philemon deutlich machen möge.

Du brauchst es nicht vor dir her zu posaunen, was du alles für den Herrn tust und wie großartig dein Glaubensleben ist, damit andere das auch ja sehen. Leute, die mit ihrer großen Kenntnis und ihrem Glauben angeben, sind mehr mit sich selbst beschäftigt als mit dem Herrn. Wenn du möchtest, dass andere Jesus Christus in dir erkennen, dann bete dafür. Das Gute in dir ist nicht dein Fleisch. Darin wohnt nichts Gutes (Röm 7,18). Das Gute ist der Glaube und was durch ihn bewirkt wurde. Wo Glaube ist, ist auch das Gute. Wo kein Glaube ist, gibt es auch nichts Gutes.

Phlm 1,7. Paulus hatte manches Gute über Philemons Dienst gehört. Die Heiligen waren in ihrem tiefsten Inneren durch Philemon belebt worden. Alle, die mit ihm in Berührung kamen, sahen und empfanden seinen Glauben und seine Liebe. Sie wurden dadurch erquickt, was etwas mit Ruhe zu tun hat, mit einer Arbeitspause, durch die man neu gestärkt wird, um weiterarbeiten zu können.

Diese Berichte waren auch für Paulus eine Wohltat. Sie haben ihn erfreut und getröstet. Es ist schön, wenn man sich an dem, was von einem anderen berichtet wird, erfreuen kann. So mitten im Satz spricht Paulus ihn einfach noch einmal als „Bruder“ an. Das passt in das Konzept eines Briefes, der ganz besonders die Empfindungen des Gläubigen anspricht. Paulus betont damit noch einmal, dass er und Philemon auf derselben Grundlage der Gnade stehen. Hier fehlt jegliche Schärfe im Ton.

Phlm 1,8. Es ist nicht so, dass Paulus nicht hätte befehlen können, Onesimus als Bruder aufzunehmen. Er hatte dazu sogar „große Freimütigkeit“. Das war aber keine menschliche Freimütigkeit, sondern eine Freimütigkeit in Christus. Christus hatte ihm sozusagen die Freiheit gegeben, das zu befehlen. Wenn er das getan hätte, hätte er nichts Verkehrtes getan.

Phlm 1,9. Trotzdem machte er von dieser Freimütigkeit keinen Gebrauch, weil er ein höheres Motiv hatte: das Motiv der Liebe. Wenn du zu einer Sache Freimütigkeit hast, dann ist es, wie du siehst, noch nicht selbstverständlich, dass du auch davon Gebrauch machst.

Um die Dinge richtig abzuwägen, wie Paulus das hier tut, muss man schon nahe beim Herrn sein, seine Gesinnung haben und allein auf die Interessen des Herrn und die des anderen ausgerichtet sein. Es ist natürlich viel einfacher, etwas zu befehlen, besonders, wenn man dazu befugt ist. Mit viel Mühe und Anstrengung einen anderen zu einem bestimmten Handeln zu bewegen, ist viel schwieriger. Dazu musst du, ebenso wie Paulus, etwas von der Liebe Gottes als dem Wesen des Christentums verstanden haben. Da geht es nicht um befehlen, um das Halten von Gesetzen, sondern um den Glauben, der durch die Liebe wirkt (Gal 5,6). Natürlich gibt es Gebote, die wir zu befolgen haben (z. B. 2Thes 3,6). Hier geht es aber darum, Gnade und Liebe zu erweisen. Es geht darum, wie Gläubige miteinander umgehen und wie sie sich gegenseitig annehmen. Das kann man nicht durch einen Befehl regeln. Dazu muss man an die Liebe appellieren, so wie Paulus hier an Philemons Liebe appelliert. Angesichts der Liebe, für die Philemon bekannt war, wäre ein Befehl auch unpassend gewesen.

Paulus spricht Philemons Herz an, wenn er sich ihm als „Paulus, der Alte“ und nochmals als „ein Gefangener Christi Jesu“ vorstellt. Paulus wird hier etwa 60 Jahre alt gewesen sein. Nach unserer Vorstellung ist er damit noch nicht wirklich alt. Trotzdem bezeichnet er sich als einen alten Mann, was sicher auch an den vielen Entbehrungen liegt, die er durchgemacht hatte. Das konnte man ihm wahrscheinlich ansehen.

Vor Philemons innerem Auge entsteht jedenfalls nicht das Bild einer beeindruckenden Persönlichkeit, eines Mannes mit einer starken Ausstrahlung, der leidenschaftlich argumentiert. Für das natürliche Empfinden hat der einst so große Apostel an Würde verloren. Aber gerade ein solches Auftreten ist ein viel stärkerer Appell an die Herzensbereitschaft Philemons, wenn er den großen Apostel so demütig im Blick auf Onesimus bitten hört. Er sieht, wie Paulus den Platz eines armen Bittstellers einnimmt (Spr 18,23).

Phlm 1,10. Bis jetzt konnte Philemon sich gefragt haben, worauf Paulus eigentlich hinauswollte und was wohl der Inhalt seines Anliegens war. Nun aber kommt Paulus zur Sache: Sein Anliegen an Philemon betrifft Onesimus. Wenn Paulus dessen Namen ganz unvermittelt genannt hätte, wären bei Philemon wohl allerlei unangenehme Erinnerungen und unschöne Gefühle hochgekommen. Doch Paulus lässt der Namensnennung von Onesimus eine Beschreibung vorausgehen, die die Gefühle Philemons sicher besänftigt haben.

Paulus spricht über Onesimus als mein „Kind, das ich gezeugt habe in den Fesseln“. Diese Mitteilung hört sich fast wie eine Geburtsanzeige an. Eine Geburt ist ein freudiges Ereignis. Meist steht auf einer Geburtsanzeige, dass man „mit Freuden“ die Geburt bekanntgibt. So spürst du die Freude des Paulus, wenn er mit dieser Formulierung Philemon mitteilt, dass er während seiner Gefangenschaft ein geistliches Kind gezeugt hat.

Es kann durchaus sein, dass der feinfühlige Philemon beim Lesen tief empfunden hat, dass dieses Ereignis für Paulus ein großer Trost gewesen sein muss. Paulus hatte erleben dürfen, dass er jemanden zum Herrn hatte führen dürfen, obwohl er in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt war. Das konnte nur das Werk Gottes sein. Ich weiß nicht, ob er schon sofort so weit war, dass er sich mit Paulus über diese neue Geburt freuen konnte. Doch wird das sicher seine Gefühle beschwichtigt haben. Der Brief ist damit auch noch nicht beendet. Paulus setzt seine vorbereitenden Bemühungen weiter fort, die Philemon bewegen sollen, sich mit Onesimus zu versöhnen.

Wir nennen ihn Onesimus. So hätte auf der Geburtsanzeige stehen können. Dieser Name bedeutet „nützlich“. Mit diesem Namen hatten seine Eltern die Erwartung ausgedrückt, dass so sein Leben sein möge: nützlich. Leider entsprach er den Erwartungen seiner Eltern nicht. Das Gegenteil hatte sich gezeigt. Doch dies hatte sich mit seiner Bekehrung geändert: Aus dem „Nutzlosen“ wurde ein „Nützlicher“. So sollte es bei jedem Bruder und jeder Schwester sein. Die Liebe geht davon aus, dass sich jeder Bruder und jede Schwester zum Nutzen einbringt. Die Bekehrung macht aus jemandem, der nur an sich selbst denkt und auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, einen Menschen, der für andere nützlich ist.

Lies noch einmal Philemon 1,4–10.

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Phlm 1,11. Wenn Paulus davon spricht, dass Onesimus „nützlich“ ist, dann weist er zuerst darauf hin, dass Onesimus Philemon nützlich wäre, und erst dann, dass Onesimus ihm selbst sehr nützlich war. Dass Onesimus Philemon nützlich wäre, steht für Paulus außer Frage. Es scheint so, als habe er den Eindruck gehabt, dass sich bei Onesimus eine Gnadengabe entwickelte. Während seiner Gefangenschaft hatte er davon bereits profitiert und das sehr genossen.

Phlm 1,12. Onesimus bedeutete Paulus so viel wie sein eigenes Herz. Das ist eine echte Empfehlung. Sollte Philemon bereits daran gedacht haben, Onesimus für das Unrecht, das er ihm zugefügt hatte, und für den verursachten Schaden zu bestrafen, dann war es ihm doch unmöglich, das Herz des Paulus zu verletzen. Das würde er nämlich tun, wenn er Onesimus bestrafen würde. Paulus bekleidet Onesimus Philemon gegenüber mit seiner eigenen Würde. Er nennt ihn „mein Herz“. Paulus kommt sozusagen in der Person des Onesimus selbst zu Philemon. Philemon sollte Onesimus aufgrund all dessen annehmen, was Paulus für Philemon bedeutete. Hier lernst du, wie man das Herz eines anderen erreichen kann.

Phlm 1,13. Paulus hätte Onesimus gern bei sich behalten. Was hatte er doch für eine Stütze an dem jungen Mann, wodurch er so viel Freude hatte. Onesimus diente ihm nicht nur durch seine Anwesenheit, sondern auch durch das, was er tat. Er war für Paulus ein sehr guter Diener. Deshalb hätte er ihn lieber bei sich behalten. Hinzu kam noch, dass Paulus in Onesimus so etwas wie einen Stellvertreter Philemons sah. Wenn Paulus Onesimus sah, sah er Philemon. Er wurde dadurch ständig an Philemon erinnert. Philemon selbst hatte keine Gelegenheit, Paulus in seinem Gefängnis aufzusuchen, doch auf diese Weise wurde das wettgemacht. Das wird auch Philemon befriedigt haben.

Phlm 1,14. Paulus versuchte nicht, Philemon mit seinen Worten zu manipulieren und ihn unter geistlichen Druck zu setzen. Er wollte das, was sein Herz bewegt hatte, mit Philemon teilen, damit es ihm umso leichter fiele, Onesimus zu vergeben und ihn aufzunehmen. Indem er Philemon so seine Herzensüberlegungen mitteilte, wollte er sein Herz milde stimmen. Er wollte von dem Nutzen, den er selbst an Onesimus hatte, absehen, damit Philemon Nutzen an ihm haben könnte. Das ist die wirkliche Gesinnung Christi: zu Gunsten anderer auf etwas zu verzichten. Paulus wollte lieber allein bleiben, wenn andere einen Vorteil durch das haben würden, was ihm selbst zum Vorteil war.

Die Handlungsweise des Paulus war anders als das, was das Gesetz vorschreibt. Nach dem Gesetz durfte er Onesimus nicht einmal zurückschicken (5Mo 23,15; 16). Doch Gnade geht immer weiter als das Gesetz, denn Paulus wollte, dass zwischen Philemon und Onesimus wieder alles in Ordnung kommen würde. Darum wollte er nicht das Recht beanspruchen, Onesimus bei sich zu behalten. Er wollte das mit Philemon besprechen und nichts erzwingen. Eine Entscheidung zu erzwingen, ist kein guter Weg. Philemon hätte das zwar befolgen müssen, aber so wollte Paulus nicht vorgehen. Er wollte, dass Philemons Wohltat „nicht wie gezwungen, sondern freiwillig sei“.

Wenn Paulus Onesimus bei sich behalten hätte, hätte er sich an das Gesetz gehalten. Er hätte Philemon das schreiben können. Formal wäre alles in Ordnung gewesen. Philemon hätte nichts dagegen vorbringen können. Paulus hätte sogar schreiben können, dass Philemon sich dazu aufraffen müsse, Onesimus zu vergeben, dass dies so etwas wie eine Verpflichtung wäre, etwas, „was sich so gehörte“. Doch Liebe kann man nicht erzwingen. Man kann nur Anreiz dazu schaffen, indem man sie selbst erweist. Das bewirkt bei dem anderen eine Freiwilligkeit, die der Herr schätzt (2Kor 8,8; 9; 2Kor 9,7).

Phlm 1,15-16. In diesen Versen führt Paulus noch ein Argument dafür an, Onesimus wieder aufzunehmen: Onesimus war ein Bruder geworden. Paulus nennt ihn sogar einen „geliebten Bruder“. Er spricht sogar davon, dass sein Weglaufen zu seiner Bekehrung geführt hatte. Das tut er jedoch in einer Weise, die Onesimus’ Verantwortung in keiner Weise schmälert.

Du kannst das an dem Wörtchen „vielleicht“ erkennen (Phlm 1,15). Es zeigt, wie vorsichtig Paulus diese Schlussfolgerung zieht. Er sagt das nicht mit absoluter Sicherheit, weil Gott noch andere Absichten haben könnte. Paulus spricht von einem Ergebnis, das für sich selbst steht und das man als ein souveränes Handeln Gottes betrachten muss. Vielleicht kennst du aus deinem eigenen Leben Situationen, von denen du zu deiner Schande gestehen musst, dass du da einen eigenwilligen Weg gegangen bist, den der Herr aber dennoch dazu benutzt hat, dich wieder zu Ihm zurückzubringen. Das macht deine Schuld nicht geringer, aber seine Gnade größer.

Paulus sprach nicht vom Weglaufen, sondern vom Getrenntsein. Die Trennung war „für eine Zeit“, die Rückkehr dagegen „für immer“. Die Beziehung zwischen Herr und Sklave gilt für eine Zeit. Auch in diese Beziehung kam Onesimus wieder zurück. Doch eine neue Beziehung war hinzugekommen: die eines Bruders. Die Beziehung zwischen Bruder und Bruder endet nie. Sie bleibt ewig. Auf diese Beziehung hat man kein Anrecht, sie ist eine Gnade. Für Paulus war Onesimus vor allem ein „geliebter Bruder“. Für Philemon war er sowohl Sklave (das war er „im Fleisch“) als jetzt auch ein Bruder (das war er „im Herrn“).

Phlm 1,17. Aufgrund dieser neuen und ewigen Beziehung, die auf Gnade gegründet ist, bittet Paulus Philemon, Onesimus so aufzunehmen, als ob Paulus selbst vor ihm stünde. Er spricht Philemon als seinen „Genossen“ an. Beachte jedoch, dass er sich als einen Genossen Philemons bezeichnet und nicht umgekehrt. Damit nimmt er den niedrigsten Platz ein und achtet Philemon höher als sich selbst. So handeln die Liebe und die Gnade. Das ist wirklich schwer zu lernen. Oder findest du es einfach, einem anderen die Ehre für eine Arbeit zukommen zu lassen, an der du doch den größten Anteil hattest? Doch genau das ist die Art und Weise, wie man Herzen zu der Gesinnung des Herrn führen kann.

Phlm 1,18-19. Paulus hatte diese Gesinnung. Das wird deutlich, wenn er Philemon bittet, ihm die Schuld(en) von Onesimus anzurechnen. Onesimus hatte bei seiner Flucht anscheinend das eine oder andere mitgehen lassen oder hatte etwas getan, wodurch er sich den Zorn seines Herrn zugezogen hatte. Paulus tut alles, um Philemon zu besänftigen. Das kann er am besten dadurch erreichen, dass er alle Schuld auf sich nimmt. Was entwendet worden war, musste zurückgegeben oder zurückbezahlt werden. Dafür verbürgt sich Paulus. Er nimmt die ganze Verantwortung für die Schulden auf sich. Er würde die Schuld begleichen.

Siehst du darin nicht die Gesinnung des Herrn Jesus, der in vollkommener Weise die Schuld anderer (deine Schuld) auf sich nahm? Auch das, was dir vielleicht an Bösem zugefügt wurde, hat Christus getragen. Er hat gleichsam gesagt: „Ich will bezahlen.“ Ich kann mir vorstellen, dass Philemon daran dachte, als er das las. So richtet Paulus den Blick nicht auf sich selbst, sondern auf den Herrn Jesus. Wenn du Ihn vor Augen hast, wird dein ganzes Handeln aus den richtigen Motiven geschehen (1Joh 3,16). Nur wenn du auf Christus blickst, wirst du auf das Unrecht, das dein Bruder dir angetan hat, in rechter Weise reagieren. Noch nie ist jemand zum Verlierer geworden, wenn er um des Herrn willen verzichtet hat.

Es gab aber noch etwas: Im Fall von Paulus und Philemon könnte man auch von einem Schuldenausgleich sprechen. Philemon schuldete Paulus mehr als umgekehrt. Philemon hatte bei Paulus Schulden. Auch er war durch den Dienst des Paulus zum Glauben gekommen, somit war Paulus sein geistlicher Vater. Onesimus war daher nicht nur sein Bruder, sondern er hatte auch den gleichen geistlichen Vater wie er. Sollte das nicht ebenfalls einen Einfluss auf sein Verhältnis zu Onesimus haben?

Phlm 1,20. Durch „Ja, Bruder“ bringt Paulus zum Ausdruck, dass er von Philemon eine positive Reaktion erwartet. Die Liebe hofft alles (1Kor 13,7). Erneut spricht Paulus Philemon als Bruder an und bringt das auch jetzt wieder in Zusammenhang damit, dass Philemon Herzen erquickt (siehe Phlm 1,7). Er wollte Nutzen an Philemon haben. Auch du solltest deine Geschwister so sehen. Das hat natürlich nichts damit zu tun, dass manche die Güte anderer ausnutzen und missbrauchen. Der Nutzen, den Paulus suchte, lag in Philemons Verhalten: Philemon würde Paulus’ Herz dadurch erquicken, dass er Onesimus in Gnaden annehmen würde, so wie er selbst von Gott in Gnaden angenommen worden war. Paulus suchte nichts für sich. Alles, was er suchte, war in Christus.

Phlm 1,21. Paulus hatte seinen Brief im Vertrauen darauf geschrieben, dass Philemon Onesimus die Freiheit schenken würde. Das drückt er zwar etwas verschleiert aus („Ich weiß, dass du auch mehr tun wirst“), doch für jemanden, der die Sprache der Liebe verstand, war das deutlich genug. Auf diese Weise könnte Philemon Onesimus die Möglichkeit eröffnen, seine Gabe zum Wohl der Gemeinde auszuüben. Das würde bedeuten, dass Philemon ihn nicht für sich selbst und die Aufgaben in seinem Haus behalten würde.

Phlm 1,22. Nachdem Paulus so ausführlich geschrieben hat, um Onesimus’ Rückkehr vorzubereiten, fügt er nur noch einen einzigen Satz hinzu, mit dem er etwas für sich selbst erbittet: Er bittet Philemon, ihm eine Unterkunft zu besorgen. Das drückt seine Erwartung aus, bald freigelassen zu werden. Mit seiner Freilassung rechnet er nicht aufgrund der Güte des Kaisers, sondern aufgrund der Gebete der Geschwister. Sein ganzes Leben sieht er in Verbindung mit dem Herrn und mit seinen Geschwistern. Diese Bitte um Unterkunft, die das baldige Kommen des Paulus bedeutet, wird Philemon zusätzlich dazu bewegen, Paulus’ Bitte in Bezug auf Onesimus zu entsprechen.

Phlm 1,23. Paulus endet seinen Brief mit den Grüßen einiger Brüder. Es sind dieselben Brüder, die auch im Brief an die Kolosser genannt werden. Von Epaphras liest du hier etwas, was im Brief an die Kolosser nicht erwähnt wird (Kol 1,7; Kol 4,12). In diesem Brief, in dem es so sehr um die Empfindungen eines Dieners geht, sehen wir, welchen Trost Paulus in einem Leidensgenossen findet. Wenn du weißt, dass jemand dasselbe durchmacht wie du, kann das eine große Ermutigung sein und Kraft schenken, um durchzuhalten (vgl. 1Pet 5,9).

Phlm 1,24. Dann nennt Paulus die Namen von vier Personen, die er als seine Mitarbeiter bezeichnet. Markus war der Mann, dem das Leben im Dienst für den Herrn zu schwer geworden war, der aber doch wieder nützlich wurde (Apg 13,13; Apg 15,37; 38; Kol 4,10). Aristarchus war ein Reisebegleiter des Paulus, mit dem er unruhige Zeiten durchlebt hatte (Apg 19,29). Demas ist hier noch dabei, würde aber bald abspringen (2Tim 4,10). Er war somit das Gegenstück zu Markus. Ermutigung und Enttäuschung liegen oft dicht beieinander. Zum Schluss nennt er Lukas, den Arzt, von dessen Fürsorge für seinen Körper er sicher dankbar Gebrauch gemacht haben wird.

Phlm 1,25. Seinen persönlichen Gruß richtet er nicht nur an Philemon, sondern an alle. Er wünscht, dass die Gnade unseres Herrn Jesus Christus mit dem Geist aller sein möge. Wie wichtig ist dieser Wunsch auch heute! Dein Geist ist jeden Tag zahllosen Einflüssen ausgesetzt. Alles, was du siehst und hörst, beeinflusst dein Denken. Es ist doch äußerst wichtig, dass du deinen Geist rein erhältst. Die Gnade unseres Herrn Jesus will bewirken, dass du dich von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes reinigst (2Kor 7,1). Dann bist du in deinem Geist frei und kannst den Herrn Jesus besser kennenlernen. Du bist dann besser in der Lage, sein Wort zu verstehen und seinen Willen zu tun. Seine Gesinnung wird sich dann mehr in dir zeigen. Ist das nicht das Hauptthema dieses Briefes?

Lies noch einmal Philemon 1,11–25.

Frage oder Aufgabe: Wie kannst du das Herz eines Bruders oder einer Schwester in Christus erquicken?

© 2023 Autor G. de Koning

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